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Innovationen aus dem Pappkarton

  • ghochstein
  • 25. März
  • 4 Min. Lesezeit

„Neu sehen lernen“ – das ist ein Klassiker der Empfehlungen und Arbeitsweisen aus dem Lean Management. Und diese Form von Perspektivwechsel bietet sich unbedingt auch für eine wirksame und kundenzentrierte Innovationsarbeit an. Innovation kommt in vielen verschiedenen Arten daher, heute aber meist als mehr oder minder lineare Weiterentwicklung des Bestehenden. Das ist erst einmal logisch, denn Unternehmen suchen ja richtigerweise nach neuen Lösungen, die sie ohne oder mit nur überschaubaren Änderungen an und Investitionen in ihre bestehenden Anlagen realisieren können. Das gilt gleichermaßen für ihre Kompetenzen und Strukturen. Das führt im Ergebnis aber auch nur zu einer Art „linearer“ Innovation, die lediglich den Status-Quo weiterbringt. Solche Innovation funktioniert so lange recht gut, wie sich auch die Kundenwünsche einigermaßen linear weiterentwickeln und der Markt mit den angebotenen neuen Lösungen erst einmal zufrieden ist.



Sobald aber draußen in der Welt in meinem Markt „nicht-lineare“ Dinge passieren, funktioniert die lineare Herangehensweise bei meiner Innovationsarbeit nicht mehr. Beispiele für „nicht-lineare“ Ereignisse gibt es viele. So kann plötzlich ein neuer Wettbewerber mit einer gänzlich neuen, gar disruptiven Lösung „aus dem Nichts“ in meinen Markt auftauchen. Seine Lösung ist viel besser als meine und wird von meinen Kunden nicht nur begeistert angenommen, sondern auch zum neuen Standard ihrer Erwartungen erhoben. Oder eine neue Technologie kommt in meinen Märkten an, die der bisherigen in Kosten, Qualität, Features oder Nachhaltigkeit weit überlegen ist. Sie macht damit meine Asset-Basis unwirtschaftlich, vielleicht sogar obsolet, was insbesondere für kapitalintensive Branchen ein unangenehmes Szenario und ein permanentes latentes Risiko bedeutet.


Wie können Sie nun „neu sehen lernen“ und damit über Innovation ein Stück weit unternehmerisch resilient gegen solche Überraschungen werden? Das beginnt mit dem gedanklichen Loslassen all der Dinge, die für Sie heute gegeben und selbstverständlich sind. Gehen Sie einfach los mit der Arbeitshypothese, dass Ihre heutigen Produkte nur eine von vielen Möglichkeiten sind, das Bedürfnis Ihrer Kunden zu erfüllen. Damit ist dann zwangsläufig verbunden, dass auch Ihre heutige Art der Produktion nur einer der möglichen Wege und vermutlich nicht der beste ist, etwas für Ihre Kunden zu produzieren. Klingt einfach, ist aber mühsam – wir kommen leider nicht so leicht aus unserer Haut und aus unseren Überzeugungen und Gewohnheiten heraus (mehr zum Loslassen von Gewohnheiten finden Sie hier). Alleine das zu akzeptieren, ist eine Hürde, die für viele Menschen schwer zu überwinden ist.


Aber es gibt recht einfache Wege, den Perspektivwechsel hinzubekommen. Beginnen Sie doch Innovation mit der Frage, was Ihre Kunden denn eigentlich wirklich brauchen bzw. wünschen. Spielen wir das einfach einmal konkret am Beispiel eines Pappkartons durch. Der erfüllt heute schon verschiedenste Zwecke; aber sein Hauptnutzen liegt darin, Waren und Güter auf dem Transportweg von A nach B zu schützen. Den Nutzen „Schutz der Ware beim Transport“ kann ich auch über viele andere Wege erzeugen, zum Beispiel über Plastikboxen. Schaue ich aus der Nutzen-/Nutzerperspektive, fallen mir schlagartig viele verschiedene Lösungen für diese Aufgabe ein; der Pappkarton ist nur eine von diesen vielen Lösungen. Der Kunde will also nicht das Produkt „Pappkarton“, der will nur, dass seine Waren heile bei ihm ankommen. Und das so billig, bequem und ressourcenschonend wie eben möglich. Dieser Wunsch verbindet ihn übrigens mit allen anderen Beteiligten, also den Produzenten, Händlern und Transporteuren.


In diesem „Pappkarton“-Fall prüft nun der Markt, hier in Person der großen Händler und Handelsplattformen, immer wieder neu, welche der angebotenen Lösungen die derzeit beste ist. Dabei ist der Markt ein sehr unemotionaler und rationaler Geselle. Zuerst geht es um die „Kosten pro Nutzen“, also dass, was es jedesmal kostet, die Waren geschützt von A nach B zu bringen. Mittlerweile gewinnen auch die Nachhaltigkeit allgemein und prominent darin der Energieverbrauch, die CO2-Emissionen und der Ressourcen-/Rohstoffverbrauch an Bedeutung. All das sind technische Parameter und damit für jede denkbare Lösung gut miteinander vergleichbar. Eine solche gesamtheitliche „Kosten- und Nachhaltigkeits-total-cost-of-ownership“ Betrachtung verschiedener Lösungen für den gleichen Nutzen kommt oft zu durchaus überraschenden Ergebnissen. In unserem Beispiel sind vielleicht die wiederverwertbaren Kisten aus Kunststoff den einmal genutzten Pappkartons kostenmäßig und ökologisch überlegen.


Für mich als Pappkarton-Hersteller kann das durchaus bedeuten, dass ich dann meine Wertschöpfungsarchitektur neu denken muss, wenn ich für diesen Zweck im Wettbewerb bleiben möchte. Heute werden Kartons recycelt, also normalerweise nach einmaligem Gebrauch wieder in die Papiermaschine geworfen und neu gefertigt. Und das, obwohl die Kartons meist nach dem Gebrauch noch intakt sind und ohne Neufertigung noch ein oder mehrmals wiederverwendet werden könnten. Und obwohl eine Wiedernutzung oder Reparatur von Pappkartons sicher kostengünstiger und nachhaltiger wäre als die Neuproduktion. Das gibt nur die aktuelle Wertschöpfungskette nicht her. Aber es ist eine neue und durchaus radikale Handlungsoption entstanden, für den Zweck eine neue, bessere und wieder wettbewerbsfähige Produktlösung anzubieten.


Immerhin haben wir damit das Gedankenexperiment einmal erfolgreich exerziert und haben Innovation von der Nutzenseite her gedacht. Viele Beispiele mehr sind dazu bekannt, wo für einen Nutzen plötzlich radikal neue und bessere Lösungen entstanden sind. Ihre Perspektive ist entscheidend, ebenso wie Ihre Fähigkeit, zumindest für die Gedankenexperimente alles bisher Gewisse und Gewohnte einmal loszulassen.


Im praktischen Tun bedeutet dieses „neu sehen lernen“ in der Innovation, dass Sie sich als Unternehmen regelmäßig, besser noch permanent mit der Kannibalisierung Ihres eigenen Geschäftes und Ihrer eigenen Produkte beschäftigen sollten. Sonst wird das beizeiten jemand anderer von außen tun. Denken Sie immer vom Nutzen her, den Ihre Produkte für Ihre Kunden erzeugen. Damit sind Sie auch gleich vor der Denkfalle der „linearen“ Innovation, also der inkrementellen Weiterentwicklung des Bestehenden, geschützt. Lassen Sie ein paar Leute auf die Frage los, wie man diesen Nutzen am besten, auf jeden Fall besser als bisher, erzeugen kann. Lösen Sie sich dabei gedanklich völlig von der aktuellen Wertschöpfungskette und Ihrer aktuellen Rolle darin, das schränkt nur ein. Wirklich neue Lösungen werden diese heute geltenden Regeln und Strukturen vermutlich eh durcheinanderbringen oder gar auflösen. Keine Scheu, es ist ja bis dahin nur eine Denkübung. Aber die macht Sie entscheidungsfähig und weniger anfällig für unerwünschte Überraschungen von außen. Dieser Perspektivwechsel ist der stärkste Treiber für wirkliche Innovation. Einfach mal probieren, es macht sogar Spaß und bringt Sie auf jeden Fall einen großen Schritt weiter.


Bildnachweis:

Quelle: Pixabay / www.pixabay.com   Urheber: Dangel099    Lizenz: Pixabay-Lizenz

Strategie und Innovation sind Kernbereiche unseres Beratungsangebotes. Mehr dazu finden Sie hier.

Das Beispiel mit dem Nutzenmodell für Transportkartons haben wir als konkretes Beispiel ausgearbeitet. Wenn Sie an diesem Fallbeispiel interessiert sind, stellen wir Ihnen dieses gerne vor. Kontaktieren Sie uns einfach dafür.



 
 
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