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ghochstein

Lass los!

Was ist das zentrale Merkmal von Innovationen und Optimierungen? Sie schaffen Neues, und dieses Neue ist attraktiv und zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, fasziniert uns vielleicht sogar. Was aber steht dem Neuen gerne im Weg? Es ist die Macht der Gewohnheit, die dem Neuen nur mit Widerwillen den Platz freigibt.



Vermutlich haben Sie diese Erfahrung mit Innovationen und Veränderungen selber schon gemacht. Eine gute Idee entsteht, sie bekommt breite Zustimmung, eigentlich alles klar und die Umsetzung erscheint als Formsache. Trotzdem scheitert die Umsetzung oder sie läuft sehr zäh. Das sagt nicht zwingend etwas über die Güte der neuen Lösung aus, sondern offenbart in vielen Fällen lediglich das massive Beharrungsvermögen des „Alten“.


Der Erfolg und die Wirksamkeit von Innovation und Optimierung hängt von zwei Faktoren ab, wann immer etwas Bestehendes angegangen und ersetzt werden soll. Das Schaffen der neuen und kreativen Lösungen ist der eine Faktor. Den neuen Lösungen den Raum zu verschaffen, in dem sie genutzt werden können, ist der andere und gerne unterschätzte Faktor. Wenn Sie eine grundsätzlich neue Lösung schaffen, ohne etwas Vorhandenes zu ersetzen, sind Sie nur von der Akzeptanz der Nutzer für die neue Lösung abhängig. Verdrängt Ihre neue Lösung jedoch eine vorhandene, stehen Ihrer neuen Lösung zusätzlich noch die bestehenden Gewohnheiten im Wege.


Innovation und Optimierung konzentrieren sich üblicherweise auf das Schaffen und Umsetzen neuer Lösungen. In der unternehmerischen Praxis und in der Projektarbeit ist es heute noch eher unüblich, den „destruktiven“ Teil, also die aktive Beseitigung der bestehenden Lösungen gleich mitzuplanen und umzusetzen. Das bedeutet aber, dem weiteren Wirken der Gewohnheiten einen quasi unkontrollierten Raum zu geben.


Gewohnheiten sind für uns Menschen eine tückische Angelegenheit. Sie haben eine gute Seite und eine wichtige Funktion. Gewohnheiten, einmal etabliert und ausgeprägt, laufen in unserem Gehirn recht automatisch ab. Das spart Energie und sorgt dafür, dass unser Denkmuskel in der Komplexität der täglichen Aufgaben und Reize nicht überfordert wird. Die Wissenschaft sagt, dass 30% bis 50% unserer täglichen Handlungen aus Gewohnheiten heraus nahezu automatisch erfolgen. Alle Tätigkeiten, die nicht aus einer Gewohnheit heraus erfolgen, beanspruchen die Aufmerksamkeit und die Kapazität unseres Gehirns hingegen sehr stark.


Unser Gehirn legt unsere Gewohnheiten in einem sehr alten Hirnareal, den Basalganglien, ab. Was dort geschieht, können wir akut und willentlich nicht beeinflussen. Unsere Gewohnheiten entstehen durch häufige Wiederholung, und erst über diesen Weg kann sich eine neue Gewohnheit dort etablieren. Eine neue Gewohnheit führt jedoch nicht automatisch dazu, dass die konkurrierende vorhandene Gewohnheit dadurch in den Basalganglien unterdrückt oder beseitigt wird. Nach dem aktuellen Kenntnisstand müssen vorhandene Gewohnheiten bewusst „entlernt“ werden, wenn wir sie nicht mehr benötigen oder wünschen. Entlernen erfolgt ähnlich wie das Ausbilden einer neuen Gewohnheit, also über das längerfristige und bewusste Nicht-Mehr-Ausführen der unerwünschten Gewohnheit. Der Umstand, dass unser Gehirn sich selbst mit jeder gut ausgeführten Gewohnheit mit einer Dopamin-Ausschüttung, unserem Glückshormon, belohnt, erschwert zusätzlich den Abschied von Routinen und Gewohnheiten. Das Ablassen von einer Gewohnheit führt also zu einem Verlust an Belohnung, das Ausführen von noch nicht etablierten Tätigkeiten und Handlungen hingegen ist anstrengend und wird im Gehirn nicht belohnt.


Für die tägliche Praxis im Veränderungsmanagement ist darum der Umstand, dass das Ausbilden von neuen Gewohnheiten und das Ablassen von etablierten Gewohnheiten tief in unserer kognitiven Aufstellung angelegt sind, von großer Bedeutung. Ihr Führungshandeln und die Umsetzung Ihrer Projekte ändert sich signifikant, wenn Sie im Veränderungsmanagement bewusst neben der Schaffung und Etablierung der neuen Gewohnheiten und Routinen auch das Entlernen der alten, jetzt konkurrierenden Gewohnheiten mit berücksichtigen. Das Wissen darum, dass der mögliche Widerstand in Ihrem Team gegen neue Lösungen, insbesondere aber das hartnäckige Festhalten an vorhandenen Gewohnheiten, in weiten Teilen ein ungesteuerter und unterbewusster Prozess ist, ermöglicht Ihnen eine andere Art, in Ihrer Führung mit diesen Widerständen umzugehen. Das kann und soll keine Generalabsolution für jede Form von Widerstand gegen Veränderung sein, denn neben diesen tiefliegenden Mechanismen in unseren Gehirnen gibt es natürlich auch bewussten und gesteuerten Widerstand gegen Neuerungen.


Ein wesentlicher Teil der Wirksamkeit Ihrer Innovationen und Optimierungen durch deren konsequente Nutzung hängt von der Fähigkeit Ihrer Teams ab, alte Gewohnheiten loszulassen und nicht nur, neue Gewohnheiten anzunehmen. Für Ihr Managementhandeln bedeutet das, den Stellhebel der Beseitigung alter, künftig störender Gewohnheiten bewusst mitzuplanen und zu steuern. Sie können hier erfolgreich und wirksam handeln, indem Sie sich und Ihrem Team zunächst eindeutige und vollständige Klarheit darüber verschaffen, welche neuen Gewohnheiten (zum Beispiel über Prozesse) für die Optimierung oder Innovation erforderlich sind und welche bisherigen Gewohnheiten dafür aufzugeben sind. Mit dieser Positiv- und Negativliste schaffen Sie einen Fahrplan und eine Checkliste für die Umstellung der Gewohnheiten. Da das Belohnungssystem im Gehirn für die erfolgreiche Umstellung der Gewohnheiten von zentraler Bedeutung ist, können Sie für die Umstellungsphase äußere Belohnungen und Anreize für beide Arten der Gewohnheitsänderungen, das Erlernen wie das Entlernen, anbieten. Damit sind keine Gehaltserhöhungen oder ähnliche grundsätzliche Anreize gemeint. Es geht dabei um Dinge wie etwa das aufmerksame Wahrnehmen einzelner erfolgreich umgesetzter Verhaltensänderungen und damit verbunden die wertschätzende und anerkennende Ansprache Ihres Teams.


Das bewusste Management des Loslassens alter, hinderlicher Gewohnheiten bei Veränderungsprozessen ist einer Ihrer starken Stellhebel für Wirksamkeit und Geschwindigkeit in der Transformation und verdient Ihre besondere Aufmerksamkeit. Sofern Sie dies nicht schon tun, empfiehlt sich bei der Planung und Umsetzung von Innovationen und Optimierungen die Erweiterung Ihrer Perspektive auf das bewusste Entlernen nicht mehr benötigter Prozesse und der zugrundeliegenden Gewohnheiten. Mittels Transparenz über die zu erlernenden und zu entlernenden Gewohnheiten und ein darauf angepasstes Führungshandeln können Sie wirksam und methodisch Widerstände und Hindernisse für neue Lösungen beseitigen. Eine erhebliche Wertsteigerung einerseits durch schnellere und breitere Anwendung und Adaption der neuen Lösungen und andererseits durch reduzierte Mühen auch im Führungshandeln sind Ihr verdiente Lohn dafür.


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Quelle: Pexels / www.pexels.com Urheber: Nothing Ahead Lizenz: Pexels-Lizenz

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