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  • ghochstein

Paracelsus und der Benchmark

Von anderen lernen ist seit jeher eine zentrale menschliche Strategie zur Wissensgewinnung. Kleine Kinder starten so in ihre Entwicklung und imitieren das, was sie sehen. Unternehmen beäugen den Markt und den Wettbewerb, um mehr oder weniger intensiv die vorhandenen, hoffentlich besten Lösungen im Wettbewerbsvergleich zu adaptieren. Diese Form der Wissensgewinnung firmiert seit den 1980er Jahren in der Managementlehre als Benchmarking, wobei das Prinzip bereits seit der Frühzeit der Industrialisierung intensiv genutzt wird.



Die Grundidee des Benchmarking und seine Vorteile liegen auf der Hand. Erkennen Sie als Unternehmen, dass ein Wettbewerber mit seinen Prozessen oder Produkten über einen Vorteil Ihnen gegenüber verfügt, sind Sie in der Regel gezwungen, diese Lücke wieder zu schließen. Andernfalls droht der Verlust von Marktanteilen, Kunden oder Profitabilität. Die Übernahme und Adaption etablierter Lösungen reduzieren das eigene Markt- und Entwicklungsrisiko deutlich. Zudem ist die Übernahme etablierter Lösungen sehr effizient, benötigt also in der Regel deutlich weniger Ressourcen als eigene Entwicklungen. Auf den ersten Blick genießen "Folger", die den "Pionieren" in neue Produktgruppen, Märkte oder Fertigungstechnologien folgen, viele Vorteile.


In der Fertigung finden Sie darüber hinaus eine Form von verdecktem Benchmarking. Über den Kauf von Maschinen und Fertigungsstraßen wird viel Wissen, welches Ihre Lieferanten über Projekte mit anderen und früheren Kunden empirisch oder über Entwicklungen gewonnen haben, weitergegeben. In vielen Industrien bilden sich darüber regelrechte Industriestandards aus. Ist die Zahl der beteiligten Spieler auf der Anbieterseite von Maschinen und Anlagen klein und auch das Geschäftsvolumen für die entsprechenden Technologien, wird kaum Geld für viele verschiedene Lösungsansätze und Technologieplattformen verfügbar sein. Verdecktes Benchmarking entsteht dann als Folge der Umstände.


Benchmarking ist also ein sehr rationaler Managementansatz, wenn Sie eine Lücke zum Klassenbesten schließen möchten oder müssen. Internes Benchmarking, also der Vergleich mehrerer eigener Fertigungseinheiten oder Standorte und die Übertragung der aktuell besten Lösungen, ist ein durchaus einfacher und wirkungsvoller Ansatz, um das gruppenweite Leistungsniveau über Standardisierung und Adaption voranzubringen. Externes Benchmarking gestaltet sich schon schwieriger, denn Sie müssen die tatsächlich beste Referenz finden und diese an den wirklich wichtigen Parametern und Kriterien messen. Trotz dieser Herausforderungen bleiben die Grundidee des Benchmarking und seine Vorteile erhalten. Aber Benchmarking hat auch gewichtige Schattenseiten.


Egal, ob Sie auf Optimierung oder Innovation schauen – konsequent gelebtes Benchmarking macht Sie maximal nur so gut wie Ihre beste Referenz, aber nicht besser. Betreiben Sie Benchmarking in Reinkultur, werden Sie darüber also niemals einen Vorteil gegenüber Ihrem Wettbewerb generieren. Anders gesagt, verbaut Ihnen Benchmarking die Möglichkeit, Alleinstellungsmerkmale in Ihrem Markt, in Ihrer Fertigung oder bei Ihren Produkten zu erreichen. Zudem sind Sie auch später dran als Ihr Wettbewerb, denn Sie müssen die beste Alternative aus Ihrem Benchmark zunächst finden und adaptieren, während Ihr Benchmark-Wettbewerber schon aktiv mit seiner Lösung im Markt ist. Prof. Dr. Burkard Wördenweber sagt aus der Innovationsperspektive: „Benchmarking macht nicht besser, nur gleicher“.


Ihr eigener Anspruch an Ihr Unternehmen, den Sie in Ihrer Vision und Mission formulieren, gibt damit schon den Rahmen vor, ob und wie weit Sie Benchmarking als Teil Ihrer Strategie nutzen sollten. Versprechen Sie Ihren Kunden und Märkten bessere Lösungen als der Wettbewerb, kann Benchmarking nur ein untergeordneter Teil Ihrer Strategie sein. Sie benötigen dann besonders solche Fähigkeiten, mit denen Sie regelmäßig eigene überlegene Lösungen und Produkte abseits der vorhandenen Wettbewerbslösungen entwickeln. Benchmarking ist für eine langfristige Wachstums- oder Differenzierungsstrategie als zentrales Werkzeug ungeeignet.


Bei der internen Optimierung führt Benchmarking Sie alsbald an die gleiche Grenze. Es scheint nur auf den ersten Blick seltsam, dass konsequentes Benchmarking Ihre Kosten- oder Qualitätsführerschaft aus den vorgenannten Gründen verhindert. Zu jeder Zeit wird Ihr Benchmark, mindestens Ihr bester Wettbewerber schon dort mit seinen Kostenstrukturen und Qualitätsmetriken sein, wo Sie über die Adaption der Benchmark-Lösung erst noch hinkommen müssen. Intern liegt die weitaus größere Gefahr jedoch an einer anderen Stelle. Die Entwicklung eigener Lösungen erfordert in Ihrer Organisation andere, weitaus höher entwickelte Fähigkeiten als für die reine Adaption schon vorhandener Lösungen. Um als Organisation auf einem hohen Niveau eigenständig problemlösungsfähig zu sein, benötigen Sie neben besonderen Methodenkompetenzen eine andere Strategie, ein anderes Führungsverständnis und eine andere Unternehmenskultur als bei der Konzentration auf Benchmarking. Benchmarking schult eher analytische Fähigkeiten, lässt aber die kreativen Fähigkeiten verkümmern. Böse gesprochen, animiert und trainiert Benchmarking Organisationen langfristig zu „Denkfaulheit“ und Risikoaversion. Benchmarking engt zudem das eigene Blickfeld auf Handlungsoptionen und Lösungsansätze ein, da es auf fertige Lösungen und nicht auf das gesamte denkbare Portfolio an Handlungsoptionen schaut. Final entscheidet die Intensität, mit der Sie Benchmarking betreiben, zu einem guten Teil über Ihre Attraktivität als Arbeitgeber. Sie werden andere Menschen als Mitarbeiter gewinnen und halten als Unternehmen, die kreative und eigene Problemlösungsstrategien verfolgen.


Halten Sie es mit dem Benchmarking wie Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus: „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“. Wenn Sie und Ihr Unternehmen einen Excellence-Anspruch leben und in Ihren Märkten und Fertigungen immer wieder nach Alleistellungsmerkmalen und Vorsprung vor Ihrem Wettbewerb streben, kann Benchmarking nur ein eher kleiner Teil Ihrer Strategie sein. Müssen Sie schnell große Lücken zu Ihrem Wettbewerb schließen oder intern das Leistungsniveau verschiedener Unternehmenseinheiten auf ein vergleichbares und in Summe höheres Niveau bringen, dann können Sie Benchmarking sinnvoll nutzen. Eine anspruchsvolle, auf langfristiges Wachstum und Differenzierung angelegte Vision und Mission hingegen benötigt Strategien und Kompetenzen über das Benchmarking hinaus. Dosieren Sie das süße Gift Benchmarking behutsam.


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Quelle: Pixabay / www.pixabay.com Urheber: Alexas_Photos Lizenz: Pixabay-Lizenz

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