Freiheit!
- ghochstein
- 3. Apr.
- 6 Min. Lesezeit
Wir Älteren haben sicher noch alle die Hymne auf die Freiheit von Marius Müller-Westernhagen im Ohr: "Alle die von Freiheit träumen / sollten's feiern nicht versäumen / sollen tanzen auch auf Gräbern / Freiheit, Freiheit / ist das Einzige, was zählt". Erschienen 1989 rund um den Fall der Berliner Mauer und damit zu einer Zeit, in der die Freiheit gefühlt eine ihrer Hochzeiten erlebte. Freiheit ist aus vielen Gründen ein wertvolles Gut für Menschen und Gemeinschaften. Auch Unternehmertum und Transformation brauchen viele Facetten von Freiheit, sonst können sie nicht erfolgreich gelingen. Dieser Artikel schaut darum auf die Freiheit im Kontext von Unternehmertum. Dummerweise hat Freiheit für viele von uns Menschen auch so ihre Tücken. Wir fühlen uns mit den Freiheiten, die uns gegeben sind, nicht immer wohl. Auswirkungen dieses Unwohlseins finden wir vielerorts in unserer Gesellschaft, aber auch in unseren Unternehmen. Das fordert insbesondere die Führung als einen der zentralen Stellhebel für erfolgreiches Unternehmertum heraus, sie muss sich intensiv mit der klugen Gestaltung und Nutzung der Freiheiten im Unternehmen befassen.

Aber was ist eigentlich „Freiheit“? Gottfried Wilhelm Leibnitz unterschied als Erster (oder einer der Ersten) zwei Freiheitsbegriffe – die Freiheit von Zwang („liberté de droit“), auch die „negative Freiheit“ genannt, und die Freiheit de facto als "positive Freiheit" („liberté de fait“). Die negative Freiheit beschreiben die Denker und Philosophen auch als die „Freiheit von etwas“, die positive Freiheit als „Freiheit für etwas“. Damit bedeutet negative Freiheit zunächst, nicht unter einem äußeren Zwang oder unter der Willkürherrschaft eines anderen zu stehen. Zu Zeiten Leibnitz´ bedeutete „negative Freiheit“ im Wesentlichen, kein Sklave oder Leibeigener zu sein. Nach dieser Deutung sind wir heutigen Menschen, so wir in einem demokratischen Staat leben, grundsätzlich frei - trotz mancher gegenteiligen Wahrnehmung oder Behauptung. Damit verfügen wir auch über die Voraussetzungen, über die negative Freiheit hinaus unsere positive Freiheit zu nutzen.
Negative Freiheit schafft mir überhaupt erst die Option, selbstbestimmt etwas zu tun. Sie ist zunächst einmal passiv, weil ich die negative Freiheit ohne eigenes Zutun bekomme. Wohl darum nehmen wir unsere negative Freiheit heute kaum noch bewusst wahr, schätzen sie nicht mehr Wert, nehmen sie schon zu lange für selbstverständlich an. Positive Freiheit hingegen kommt nicht von allein und muss „erarbeitet“ werden. Will ich sie leben und nutzen, muss ich proaktiv etwas tun, dort gibt es keinen Automatismus. Und so kommen wir spätestens bei der positiven Freiheit an den ersten Knackpunkt. Sie widerspricht dem Wunsch vieler Menschen nach einem Rundum-Sorglos-Vollkasko-Erfolgs-Paket mit Geling-Garantie, möglichst ohne eigene Anstrengungen und Risiken.
Heutige Diskussionen zu Freiheit drehen sich trotzdem noch oft um die „negative“ Freiheit. Die Sklaverei aus Leibnitz´ Zeiten sind in der Wahrnehmung dieser Tage wahlweise Bürokratie, missliebige staatliche Institutionen oder irgendein sonstiger äußerer Einfluss. Allesamt Dinge, von denen wir gerne glauben, dass sie uns faktisch oder gefühlt unter einen äußeren Zwang setzen. Ob und wie stark diese äußeren Einflüsse unsere Freiheit tatsächlich einschränken, sei kritisch in Frage gestellt. Und doch nehmen viele Menschen diese vorgeblich fehlende „negative Freiheit“ gerne als Begründung her, wenig zu wagen oder selbst proaktiv etwas Neues zu gestalten. Es klingt paradox, aber diese subjektiven Einschränkungen ihrer negativen Freiheit sind für viele Menschen sogar ein Teil ihrer Komfortzone – nicht gemütlich, gerne bejammert, aber eben ein sicherer Ort, an dem die Dinge für mich geregelt werden.
Spätestens ab dem Moment, wo wir unsere positive Freiheit leben und wahrnehmen wollen, zahlen wir einen anderen Preis. Der amerikanische Autor Elbert Hubbard (1856 -1915; nicht zu verwechseln mit L. Ron Hubbard, dem Scientology-Gründer) schrieb: „Verantwortung ist der Preis der Freiheit“. Und Siegmund Freud stellte fest: „Die meisten Menschen wollen nicht wirklich Freiheit, denn zur Freiheit gehört auch Verantwortung - und davor fürchten sich die meisten Menschen.“ Freiheit legt dem, der sie hat und nutzt, auch eine Verpflichtung auf. Dieser Preis der Freiheit, der darin besteht, zumindest die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, überfordert viele Menschen oder macht ihnen Angst. Die zunehmende Komplexität der Welt, die auch mit einer starken Zunahme der individuellen Handlungsoptionen einhergeht, ist einer der Treiber hinter dieser Überforderung durch Freiheit.
Unternehmertum kann nur in positiven Freiheit entstehen. Die ist zum Beispiel dort, wo jemand ein Unternehmen aus freien Stücken gründet oder erwirbt und es dann selbst gestaltet. Unternehmertum bedingt auch, dass die positive Freiheit intensiv gelebt und wahrgenommen wird. Niemand wird gezwungen, Unternehmer zu werden, das ist eine freie und persönliche Entscheidung (nehmen wir von dieser Aussage solche Menschen aus, die zum Bespiel aus familiärer Loyalität heraus in eine solche Unternehmerrolle hineingedrängt werden).
Etwas abgeschwächt gilt dies ebenso für die Wahrnehmung von Führungspositionen als angestellter Manager in einem Unternehmen. Qua Amt verfügen Führungskräfte über mehr oder weniger große Gestaltungsspielräume. Damit sind die Führungskräfte aber auch verpflichtet und verantwortlich dafür, ihre Freiheiten zum Wohl des Unternehmens und der eigenen Mitarbeiter wahrzunehmen. Wenn Sie Führungskräfte einstellen oder ausbilden, müssen Sie diese Anforderung mit ihnen eindeutig klären. Nur so können Sie diese Form der wirksamen Führung wirklich sicherstellen. Und diese Klärung dürfen Sie nicht allein auf die abstrakte Ebene beschränken. Sie müssen mit Ihren Führungskräften Ihre diesbezüglichen konkreten Erwartungen durchgehen und klären.
Ihr Unternehmen sollte also zuallererst ein Ort sein, an dem die positive Freiheit daheim ist und intensiv gelebt wird. Nun werden viele Mitarbeiter, die keine exponierte Führungsrolle innehaben, gleich anmerken und monieren, dass sie durch viele Regeln, Prozesse, die Compliance und andere Vorgaben doch stark gebunden sind. Das nehmen sie vielleicht sogar als Argument her, um nachzuweisen, dass sie keine oder nur eine sehr eingeschränkte negative Freiheit besitzen - von der positiven Freiheit mal ganz zu schweigen. Solche Aussagen und Argumentation führen aber in die Irre und sind in der Regel auch nicht richtig. Größere Gemeinschaften wie Unternehmen benötigen ein Mindestmaß an Regeln, sonst können sie nicht funktionieren. Klarer wird die Notwendigkeit von Regeln am Beispiel des Straßenverkehrs. Ohne die Verkehrsregeln entstünden dort unbeherrschbare Risiken für Leib und Leben, und ein zügiges Vorankommen zumindest in dichter befahrenen Gegenden würde dem Egoismus und vielleicht sogar einer Form von Mobilitäts-Anarchie zum Opfer fallen. Solange solche Regeln im sinnvollen Rahmen bleiben, ohne in unnötige Bürokratie abzugleiten, und keiner Willkür Einzelner entspringen, sind sie eine sinnvolle und notwendige Organisation des Zusammenlebens, aber eben keine Einschränkung der negativen Freiheit.
Jeder Ihrer Mitarbeiter verfügt zu jeder Zeit über seine ganz persönliche positive Freiheit. Er ist zum Beispiel jederzeit frei in seiner Entscheidung, Ihr Unternehmen zu verlassen. Er kann sich genausogut in Ihrem Unternehmen weiterentwickeln oder für die Änderung der seiner Meinung nach einschränkenden Regeln einsetzen. Weder seine negative noch seine persönliche positive Freiheit wird durch die handelsüblichen Regeln eines Unternehmens eingeschränkt. Ihr Mitarbeiter wird eben nicht zu einem Sklaven oder Leibeigenen dadurch. Der Knackpunkt dahinter ist ein anderer, nämlich eben der, den Sigmund Freud schon beschrieb – nur wenige Menschen wollen wirklich und mit Konsequenz ihre positive Freiheit leben. Denn das ist mit Anstrengungen verbunden, hat Risiken und passiert auch oft außerhalb des sozial Erwünschten. Nutze ich meine positive Freiheit, laufe ich Gefahr, von meiner Peer-Group verstoßen zu werden. Konsequent gelebte positive Freiheit betritt oft Neuland und arbeitet an Themen, die manchen Kollegen erst einmal suspekt sind. Auf all das lasse ich mich ein, wenn ich positive Freiheit ernsthaft nutze.
Fazit: erfolgreiches Unternehmertum ohne gelebte positive Freiheit ist kaum möglich. Ein wichtiger Stellhebel bei der Führung im Unternehmen liegt daher darin, trotz der notwendigen Regeln, die das Funktionieren der Organisation sichern, das Maximum an positiver Freiheit zu aktivieren. Das beginnt damit, durch gute und klare Kommunikation den Freiheitsbegriff in das Verständnis jedes einzelnen Mitarbeiters zu bringen. Das schließt eine klare Haltung dergestalt ein, dass eben jeder Mitarbeiter zu jeder Zeit seine persönliche positive Freiheit wahrnehmen kann. Er kann im Extremfall das Unternehmen verlassen, wenn er mit den Regeln oder der Art, wie positive Freiheit im Unternehmen gelebt wird, nicht mehr einverstanden ist. Sie müssen einfach bereit sein, diesen Preis zu zahlen, wenn Sie konsequent positive Freiheit als einen wirkmächtigen Stellhebel für erfolgreiches Unternehmertum leben. Die Effekte, die Sie erzielen können und die Dynamik, die Sie mit konsequent und breit gelebter positiver Freiheit entfesseln können, wiegen die Risiken weit mehr als auf. Trauen Sie sich das einfach, denn so schaffen Sie eine Kultur in Ihrem Unternehmen, die viele Menschen wachsen lässt. Sie schaffen so eine der Vorassetzungen, Ihr Unternehmen auf das nächste Level Ihrer Unternehmensentwicklung zu heben. In diesem Sinne – ein Hoch auf die Freiheit!
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