Sind Sie ein rational denkender und handelnder Mensch? So wie ich auch, werden Sie das für Ihre Rolle und Tätigkeiten in Ihrem Job wohl für sich in Anspruch nehmen. Wir sind in der Regel davon überzeugt, gute Entscheidungen auf Basis von guten Informationen und unter vernünftiger Abwägung von Daten, Fakten und unseren Wahrnehmungen zu treffen. Und doch unterliegen wir oft und gerne Einflüssen, die unsere Entscheidungen und Handlungen unbewusst mit steuern. Die Psychologie redet hier von kognitiven Verzerrungen (cognitive biases), denen wir Menschen zuverlässig anheimfallen – Führungskräfte und Manager ausdrücklich eingeschlossen.
Das ist besonders im Transformationsmanagement und bei Entscheidungen zu großen Veränderungen ein kritisches Thema. Sie bewegen sich hier auf noch mehr oder weniger unbekanntem Terrain mit vielen neuen Informationen, die es zu gewinnen und zu verarbeiten gilt. Jeder „Filter“ über diesen Informationen kann eine überproportionale Hebelwirkung auf Ihre Richtungsentscheidungen ausüben. Gepaart mit der zumindest latenten Unsicherheit auf dem neuen Spielfeld gesellen sich dann gerne Meinungen und Emotionen zu den verfügbaren Fakten und Informationen und nehmen Einfluss auf Entscheidung und Handlung.
Die möglichen Verzerrungen sind mannigfaltig und zu zahlreich, um hier einzeln betrachtet zu werden. Dazu ist eine umfangreiche Literatur verfügbar, wobei Rolf Dobelli mit „Die Kunst des klaren Denkens“ eine vergnügliche und kurzweilige Aufbereitung des Themas geschrieben hat. Wichtig ist das Wissen um die Tatsache als solche und eine Aufmerksamkeit dafür, wann immer Sie gewichtige Entscheidungen gerade auf noch unbekannten Gebieten treffen müssen.
Natürlich ist Führung und Management, gerade in Veränderungsprozessen, keine rein rationale Angelegenheit. Sie wollen etwas bewegen und voranbringen, dazu benötigen Sie Mut und Durchhaltevermögen. Sie müssen Entscheidungen treffen, für die auch bei bester Sorgfalt und Suche keine guten Informationen verfügbar sind, dort hilft Ihnen Ihre Intuition. Kognitive Verzerrungen sind die teuflischen Verwandten dieser guten und hilfreichen emotionalen Fähigkeiten und Eigenschaften. Und sie sind deswegen besonders tückisch, weil sie uns eine gefühlte Sicherheit verschaffen, wenn wir etwas anschauen und bewerten.
Ein Beispiel zur Illustration. Social Proof oder Gruppendruck ist ein häufig anzutreffender Fall von kognitiver Verzerrung, die auf Entscheidungen und unser persönliches Handeln unmittelbar wirkt. Worum geht es? Sie sitzen in einem Meeting, ein Thema wird besprochen und ein Meinungs- und Stimmungsbild der Gruppe für eine bestimmte Entscheidung schält sich heraus. Sie selber sind anderer Ansicht und können Ihre Position vielleicht sogar mit Daten und Fakten untermauern. Aber Sie sagen nichts, zumindest nichts Gegenteiliges, da Sie annehmen, dass die Gruppe hier doch Recht hat – so viele Kollegen können nicht irren. Ein solcher Filter, der gegenteilige Positionen und kritische Diskussion verschiedener Optionen verhindert, erzeugt eine große Gefahr für die Qualität der zu treffenden Entscheidungen.
Unsicherheit ist ein guter Nährboden für kognitive Verzerrungen. Nun werden einerseits viele dieser Verzerrungen durch tiefe innere Überzeugungen getragen, eine Art der inneren und persönlichen Scheinsicherheit also. Aber überall dort, wo wir uns noch nicht gut auskennen und unsicher sind, lassen wir eher weitere äußere Einflüsse auf unsere Entscheidungen und unser Handeln zu als auf Handlungsfeldern, die uns vertraut sind. Zudem steht uns in unseren Unternehmen bei gänzlich neuen Themen kein oder nur ein schwaches Korrektiv zur Verfügung. Die meisten Kollegen sind in dem neuen Thema genau so unsicher unterwegs wie ich selber, so dass von ihnen ebenso kaum Einspruch mangels sicheren Wissens zu erwarten ist. In unseren angestammten und bekannten Handlungsfeldern ist die Chance ungleich größer, dass bei erwiesenem Unfug doch jemand Einspruch erhebt und eine Korrektur erfolgt.
Um kognitive Verzerrungen zu vermeiden oder zu vermindern, hilft zu allererst eine bestmögliche Objektivierung aller Informationen, Daten und Wahrnehmungen, die wir zu einem Sachverhalt haben. Das klingt selbstverständlich und trivial, fällt uns aber doch schwer. Im täglichen Leben fügen wir jeder Wahrnehmung gerne und oft unbewusst gleich eine Bewertung oder Emotion hinzu. Es regnet, dabei nehme ich nicht nur die Tatsache des Regens wahr, sondern schimpfe wahrscheinlich innerlich über das schlechte Wetter. Eine hilfreiche Perspektive dazu stammt von Shi Yan Bao, einem Shaolin-Mönch und damaligem Abt des Shaolin-Klosters in Berlin. Er berichtete aus der Zen- und Shaolin-Philosophie über Wahrnehmungen und darüber, wie Bewertungen von Wahrnehmungen unser Glücksgefühl meist negativ beeinflussen. Sein Rat: Neues zunächst einfach nur als neu wahrnehmen und nicht bewerten. Wenn es hilfreich oder notwendig ist, kann ich die Wahrnehmung immer noch meiner Bewertung unterziehen. Für Daten, Informationen und Wahrnehmungen im Job bei Veränderungsprozessen können Sie diesen Ansatz adaptieren. Nehmen Sie Informationen auf, wie sie sind und nutzen Sie sie zunächst ohne Wertung. Damit beugen Sie einer kognitiven Verzerrung am besten vor.
Denkfallen, die aus kognitiven Verzerrungen und der damit verbundenen Verzerrung des Faktenbildes entstehen, sind ein ernsthaftes Risiko bei Entscheidungen in Ihren Transformations- und Veränderungsprozessen. Eine ehrliche Selbstreflexion unter Erkenntnis und Anerkenntnis der Tatsache, dass jeder von uns individuell oder in Gruppen solchen Mechanismen unterliegt, bringt Ihnen die Offenheit für einen bewussten Umgang mit derartigen Denkfallen. Objektivierung von neuen Informationen und die bewusste Trennung von Fakten einerseits und Meinung / Bewertung dazu andererseits sind, nach einiger Übung und Selbstbeobachtung, ein probates Mittel, diese Denkfallen zu vermeiden. Ihre Sicherheit und Qualität bei Entscheidungen und in Ihrem Transformationshandeln steigt dadurch spürbar.
Bildnachweis:
Quelle: Pexels / www.pexels.com Urheber: George Becker Lizenz: Pexels-Lizenz
Comments