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ghochstein

Von Giraffen und der Kontrollillusion

Ein Mann steht auf dem Kirchplatz und gackert laut wie ein Huhn. Ein Zweiter tritt hinzu und fragt, was er dort macht. „Ich verjage Giraffen“ sagt der Erste. „Hier gibt es weit und breit keine Giraffen“ sagt der Zweite. Da sagt der Erste: „Da sehen Sie, wie gut ich das kann!“.

Dieser schöne alte Witz thematisiert die Kontrollillusion (illusion of control), eine bekannte kognitive Verzerrung und einer der klassischen Denkfehler, denen wir gerne aufsitzen. Menschen neigen dazu, vielen ihrer Handlungen eine Wirkung zuzuschreiben, die so nicht gegeben ist. Im Managementkontext tritt die Kontrollillusion in mehr oder minder starker Form unter anderem in der Unternehmenssteuerung auf.



Warum aber sollten Sie sich mit dieser Art der kognitiven Verzerrung auseinandersetzen? Nun, ausgelebte Kontrollillusion kann in Ihrem Unternehmen zum Beispiel zu überbordender Detailkontrolle seitens der Führungskräfte führen. Sobald einzelne Führungskräfte die Sorge oder Überzeugung leitet, dass ohne ihre Detailkontrolle die Dinge aus dem Ruder laufen, geraten Sie in einen Teufelskreis. Schon bald liegt eine Überlast auf diesen Führungskräften und sie werden zu Engpässen in verschiedenen Prozessen. Entscheidungen werden später oder gar nicht mehr getroffen, die Umsetzung von Projekten verzögert sich, Ihre Wirksamkeit leidet. Dieser Teil des Mikromanagements ist durchaus weit verbreitet und führt bei den Beteiligten, die betroffenen Führungskräfte eingeschlossen, zu Frust und anderen negativen Erlebnissen. Für Ihr Unternehmen bedeutet das die Verschwendung von wertvollen Zeit- und Managementressourcen sowie spätere und damit weniger nutzbare Ergebnisse aus Ihren Transformationsaktivitäten.

Gerade Projekte und Transformationsaktivitäten sind anfällig für die kognitiven Verzerrung der Kontrollillusion. Aus der Natur der Sache heraus bringen alle Arten von Veränderungen ein höheres Maß an Unsicherheit mit sich. Wir Menschen streben aber demgegenüber zumeist nach Sicherheit. Damit geraten wir bei Veränderungsaktivitäten schnell in ein Dilemma – Unsicherheit hier, Sicherheitsbedürfnis dort. Wie Sie als Führungskraft mit diesem Dilemma umgehen, hängt wesentlich von zwei Umständen ab. Zum einen der Kultur, die in Ihrem Unternehmen herrscht. Zum anderen von Ihrer Persönlichkeit und Ihrem Umgang mit Vertrauen.


Finden Sie sich in einer Unternehmenskultur, die im Kern darauf bedacht ist, keine Fehler zuzulassen, treibt das gesamtheitlich und auch individuell den Drang, überproportional zu kontrollieren. Nun ist Kontrolle per se erst einmal hilfreich und notwendig, um ein Unternehmen und alle seine Teilbereiche gut und erfolgreich zu führen. Im Sinne des Lean Managements geraten Sie hier jedoch schnell in eine der 7 Verschwendungsarten, das Overprocessing, hinein. Wird ein Projekt bereits durch eine andere, auch nachgeordnete Führungskraft in ausreichender Detailtiefe gesteuert, erzeugt die Kontrolle durch eine zweite oder noch weitere Führungskraft keinen Mehrwert mehr. Sie verschwenden dadurch lediglich wertvolle Zeit, die für andere Aufgaben fehlt. Ein Unternehmen, in dem in diesem Sinn mehrfach und nicht weiter wertbringend kontrolliert wird, gerät durch die schleichende Überlastung der Führungskräfte irgendwann aus dem Takt. Die schon beschriebenen Engpässe bei Entscheidungen und daraus folgenden Verzögerungen in Projekten sind das Ergebnis. Eine Quelle für Verschwendung und reduzierte Wirksamkeit ist damit aufgetan.

Persönlich benötigen Sie als Führungskraft einfach das Vertrauen in Ihr Team, dass es den Job einschließlich der erforderlichen Kontrolle gut erledigt. Diese starke Form von Vertrauen fällt jedoch nicht vom Himmel. Sie selber müssen in Ihrem Team zunächst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie sich gegenseitig vertrauen können. Dazu müssen Sie die richtigen Leute für Ihr Team auswählen, diese mit den richtigen Aufgaben betrauen und sie beständig und zielgerichtet aus- und weiterbilden. Das ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe, aber unabdingbar und der Mühe wert. Vertrauen entsteht als Ergebnis Ihres Tuns und Handelns, denn Sie können Vertrauen nicht verordnen. Dieses Vertrauen im Team und im Unternehmen ist der Schlüssel für eine hohe Wirksamkeit im Management und in der Unternehmenssteuerung und damit auch für Ihre persönliche Wirksamkeit.

Überbordende Kontrolle nach dem Muster der Kontrollillusion erzeugt eine Scheinwirksamkeit und keinen wirklichen Mehrwert. Sie bedient zumeist nur das individuelle Sicherheitsbedürfnis vorsichtiger oder unsicherer Führungskräfte, bringt aber keinen verwertbaren Nutzen für das Unternehmen. Für die Wahrnehmung der Führungskräfte und der Führungsleistung innerhalb des Unternehmens liegt in dieser Scheinwirksamkeit noch ein weiteres Risiko. Sie tragen als Führungsteam gesamtheitlich die Verantwortung für eine hohe Wirksamkeit im Unternehmen. Dazu benötigen Sie eine Form der Legitimation, die nicht alleine aus Ihrer Position im Unternehmen, dem Organigramm und der Ihnen verliehenen Macht kommt, sondern insbesondere auch aus der Wahrnehmung und Akzeptanz der gesamten Belegschaft. Menschen nehmen sehr wohl wahr, wie Sie agieren und wie wirksam Sie sind; ob Sie gezielt und sicher oder ausweichend und eher unsicher in Ihrer Führung wirken. Scheinwirksamkeit, wie sie durch ausgelebte Kontrollillusion entsteht, erkennt Ihr Team auch. Eine solche Wahrnehmung untergräbt mehr oder minder stark die Legitimation von Führungskräften und kann in der Folge dazu führen, dass Mitarbeiter diesen Führungskräften nicht oder nur eingeschränkt folgen und vertrauen. Sie wirkt also unmittelbar auch auf die Wirksamkeit von Führung selber.

Vermeiden Sie also, Giraffen zu verjagen, die ohnehin nicht da sind. Kontrollieren und steuern Sie nur die Dinge, bei denen Ihre Kontrolle einen Mehrwert erzeugt, unabdingbar ist oder für Ihrer Rolle und für Ihre Ergebnisse wirklich relevant ist. Machen Sie sich dazu bewusst, welche die Dinge von Relevanz für Sie sind. Machen Sie Ihr Team stark, so dass Sie ihm vertrauen können und so weit als möglich ihm die Kontrolle übertragen können. Bauen Sie ein gutes und wirksames Steuerungssystem auf, welches Ihnen und Ihrem Team die Fleißarbeit weitgehend abnimmt und Ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigen Themen und Parameter lenkt. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht in wiederkehrenden Meetings, in denen die meiste Zeit über den bekannten Status quo und nur wenig über relevante Abweichungen, Erfolge oder Änderungen gesprochen wird. Für die wirksame Steuerung und Kontrolle Ihrer Projekte und Transformationsaktivitäten halten die verschiedenen Methodenbaukästen zahlreiche einfache Werkzeuge und Prozesse bereit. Einfach mal ausprobieren und damit die Scheinwirksamkeit überkommen.


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Quelle: Pexels / www.pexels.com Urheber: Abimanyu-Photowork Lizenz: Pexels-Lizenz

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