Geht bei Ihnen gelegentlich die Angst bei und vor Entscheidungen um? Dann geht es Ihnen wie der Mehrheit von uns Menschen, das ist normal und menschlich. Unsicherheit ist ein stetiger Begleiter bei Entscheidungen und löst recht zuverlässig verschiedenste Arten von Furcht und Sorgen aus. Eine Vielzahl, vermutlich die Mehrzahl unserer Entscheidungen in allen Lebenslagen treffen wir nun einmal, ohne wirklich sicher über deren Folgen sein zu können. Trotzdem gehen verschiedene Menschen durchaus verschieden mit dieser Unsicherheit um. Von souverän-gelassen bis gehemmt-panisch reicht die mentale Bandbereite, unter denen wir Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Und die individuelle mentale Verfassung beeinflusst spürbar die Entscheidungen und die daraus folgenden Handlungen. Das gilt natürlich und mit besonderer Hebelwirkung für das Entscheiden und Handeln von Führungskräften. Management ist und bleibt ein Handwerk, das von Emotionen begleitet und nicht rein rational erledigt wird. Angst ist eine der wesentlichen Emotionen, die dabei eine Rolle spielen. Welche Art von Mut braucht es dann, um wirksam zu managen und Angst zu überwinden?
Nun behauptet der Volksmund, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Das stimmt eingeschränkt, denn Angst übte und übt eine wichtige Schutzfunktion aus. Angst ist ein uraltes archaisches „Notprogramm“, tief in uns Menschen angelegt. Ohne Angst hätten wir als Menschheit kaum überlebt. Sie schützt uns in wirklichen Gefahrensituationen durch sofortige Reaktion und bewahrt uns davor, zu große Risiken einzugehen. Vor Tausenden von Jahren war die Flucht vor dem oft zitierten Säbelzahntiger eine segensreiche und sinnvolle Reaktion, denn dann war unser Leben in Gefahr und eine lange Reflexion zum Für und Wider einer Flucht war zumeist tödlich. Angst hatte und hat aber immer einen realen und wesentlichen Anlass, eben zum Beispiel Gefahr für das eigene Leib und Leben oder für das enger Weggefährten und Familienmitglieder.
Worum aber geht es heute, wenn wir von „Angst“ reden? Zumindest im Geschäftsleben und bei der Entscheidungsfindung geht es nicht mehr um Leben und Tod. Natürlich können schlechte Entscheidungen und daraus folgendes ungeeignetes Handeln erhebliche negative Konsequenzen verursachen – wirtschaftliche Verluste, persönliche Konsequenzen, im schlimmsten Fall Untergang der Firma. Aber all diese negativen Folgen bedrohen direkt weder das eigene Leben noch die eigene Gesundheit. Trotzdem löst der Gedanke an derartige negative Folgewirkungen unseres Tun und Handelns noch immer recht zuverlässig das archaische Programm der Angst in uns aus. Es muss also etwas anderes geben, was im Lauf der Jahre zu der ursprünglichen Angst hinzugekommen ist.
Im Song „Fear of the Dark“ von Iron Maiden singt Bruce Dickinson in einer Passage:
„The unknown troubles of your mind / maybe your mind is playing tricks / you sense, and suddenly eyes fix / on dancing shadows from behind.“
Statt vor realen und unmittelbaren Bedrohungen fürchten wir modernen Menschen uns heute viel häufiger vor Dingen, die nicht oder noch nicht wirklich existent sind. Wir verspüren eine Angst vor einem Konjunktiv, vor einem möglichen Ereignis. Dann geht es um Ängstlichkeit (Englisch: anxiety). Sie unterscheidet sich von der Angst (Englisch: fear) eben dadurch, dass wir keiner konkreten Bedrohung von Leib und Leben gegenüberstehen. Ein wirkmächtiger Treiber für Ängstlichkeit im Geschäftsleben ist die Sorge vor der Bedrohung des eigenen sozialen Status. Alleine darum gibt es ungleich mehr Anlässe für Ängstlichkeit als für Angst. Und die Anlässe für Ängstlichkeit sind deutlich niederschwelliger, somit tritt sie viel häufiger und schneller auf als reale Angst. Unglücklicherweise kann ich die Anlässe für Ängstlichkeit nicht direkt greifen. Im Gegensatz zu den Auslösern von Angst – reale und konkrete Bedrohung von Leib und Leben – sind die Auslöser für Ängstlichkeit latent und entziehen sich damit der umgehenden Konfrontation. Angst lässt mich schnell reagieren, Ängstlichkeit hingegen lässt mich in der Regel längere Zeit schlecht schlafen.
Im Management-Kontext liegt eine Gefahr von Ängstlichkeit unter anderem darin, dass sie wie eine Art Filter über Entscheidungen und Handlungen liegt. Wäge ich jede Entscheidung auf die Frage hin ab, was sie für meinen sozialen Status und meine persönliche Sicherheit in der Firma bedeutet, wird das in vielen Fällen andere Entscheidungen erzeugen als bei einer rein faktenbezogenen Beurteilung. Der eigene soziale Status im Unternehmen umfasst dabei viele Facetten. Meine Position und Karriereoptionen, mein persönliches Ansehen in meinem Netzwerk, die Bewertung meiner Entscheidungen und Handlungen auf ihre soziale Erwünschtheit in den Augen der Kolleginnen und Kollegen sind nur einige Beispiele. Jede einzelne dieser Perspektiven ist geeignet, Entscheidungen deutlich zu verzerren, zu verzögern oder abzumildern, wird sie unter Berücksichtigung der eigenen Ängstlichkeit getroffen.
Mut in der Managementpraxis bedeutet also zuallererst, die Gründe für eigene Ängstlichkeit zu erkennen und zu überkommen. Persönliche, aus Ängstlichkeit getriebene Filter über Lagebeurteilungen und Entscheidungen abzustellen und in der Folge so nüchtern und objektiv wie möglich zu handeln, sind Ausdruck dieser Art von Mut im Management. Ängstlichkeit ist destruktiv und wirkt in der Regel hemmend und wirksamkeitsschädlich. Mut ist konstruktiv und sorgt demgegenüber für Bewegung und Aktivität. Mut bedeutet dabei auch, Dinge einmal nicht zu tun auch gegen anderweitige Erwartungen, wenn sie der nüchternen Prüfung nicht standhalten.
Den Treibern von Ängstlichkeit können Sie ein gutes Stück weit begegnen. Der Unsicherheit auf der Sachebene als Treiber von Ängstlichkeit können Sie ein gutes internes Informations- und Steuerungssystem entgegenstellen. Je unbekannter ein Sachverhalt ist, zu dem Sie Entscheidungen treffen müssen oder den Sie bewerten sollen, desto wirksamer hilft Ihnen ein solches Informationssystem bei der Überwindung der Unsicherheit und Ängstlichkeit. Auf der mentalen Ebene benötigen Sie eine Art Rücksichtslosigkeit gegen sich selber, wenn es darum geht, mögliche persönliche Folgen aus Ihren Entscheidungen und Handlungen hinten anzustellen und stattdessen objektiv und rein sachbezogen zu handeln. Der japanische Philosoph Inazo Nitobe sagte dazu: „Mut heißt tun, was recht ist“. Starke und mutige Führungspersönlichkeiten handeln nach der Maxime der objektiven Notwendigkeiten, ohne sich dabei von persönlichen Ängsten leiten zu lassen. So wächst über die Zeit ihr Ansehen und ihre Wirksamkeit. Alles beginnt aber mit Ihrem Bewusstsein und Ihrer Selbstwahrnehmung zu Angst und Ängstlichkeit. Sie haben es zu weiten Teilen selber in der Hand, Ihre Ängstlichkeit zu überwinden und stattdessen frei und kraftvoll zu handeln und zu entscheiden.
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