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ghochstein

Nellie the Elephant

1982 veröffentlichte die britische Punk-Rock-Band Toy Dolls eine Coverversion des englischen Kinderliedes „Nellie the Elephant“. Titelheldin Nellie ist ein dressierter Elefant. Sie reist mit einem Zirkus in Indien herum und zeigt dort ihre Kunststücke. Eines Tages bricht Nellie aus dem Zirkus aus und kehrt in den Dschungel in ihr freies und angestammtes Leben zurück. So weit, so gut und ein Happy End, wie es sich für ein Kinderlied gehört. Schauen wir auf unsere Unternehmen, stehen auch dort häufig „Elefanten im Raum“. Offensichtliche Probleme und Herausforderungen, für jedermann ersichtlich, und doch spricht niemand darüber. Anders als Nellie verschwinden diese Elefanten jedoch nicht von alleine. Und, um im Bild zu bleiben, benötigen diese Elefanten im Raum auch mindestens eine Dressur, um nicht eines Tages wie der Elefant im Porzellanladen unkontrollierbar durch das Unternehmen zu ziehen und dort großen Schaden anzurichten.



Wenn Sie einen erwachsenen Elefanten übersehen, der direkt vor Ihnen steht, dann sind Sie entweder abgelenkt oder ignorieren ihn vielleicht angestrengt, weil Sie Angst vor ihm haben. An der Größe und Präsenz des Elefanten liegt es jedenfalls nicht. Mit den großen Problemen oder Herausforderungen in Ihrem Unternehmen verhält es sich ähnlich. Diese Themen sind da, sie verschwinden durch Ignorieren oder Wegschauen nicht von alleine und erzeugen eigentlich auch ohne angestrengte Beobachtung genug Aufmerksamkeit. Und doch bleiben viele solcher Herausforderungen unberührt und unerledigt.


Die einfachste und häufigste Erklärung dafür ist, dass die beteiligten Menschen im Unternehmen bewusst wegschauen. Gründe für das bewusste Ignorieren gibt es viele. Der Sachverhalt ist unangenehm oder mühsam, er droht, das soziale Gefüge oder den sozialen Status zu beschädigen, es winkt beim Kümmern um dieses Thema kein Gewinn oder persönlicher Vorteil – die Liste lässt sich nahezu beliebig verlängern. Um trotzdem weiterzukommen und das Problem einer Lösung zuzuführen, müssen Sie oder muss jemand anderer aus Ihrem Team einfach beginnen, darüber zu reden.  Ein Erkenntnisdefizit bei Aufgaben der Größenordnung „Elefant im Raum“ können Sie recht sicher ausschließen. Sie brauchen Ehrlichkeit in Ihrem Team, klare Kante, um genau diese Hürde zu überwinden. Tabus, Glaubenssätze und andere Faktoren, welche die Wahrnehmung zu bestimmten Themen in Ihrem Unternehmen verzerren, stehen dem entgegen und sorgen dafür, dass der Elefant im Raum bleibt. Aber diese Hürde ist, rein technisch gesehen, leicht zu überwinden. Sie müssen es nur tun.


Wussten Sie, dass das Sprachbild vom „Elefanten im Raum“ ursprünglich aus Russland stammt? Fjodor Michailowitsch Dostojewski verweist in seinem 1873 erschienenen Roman „Die Dämonen“ auf einen älteren Text eines anderen russischen Autors, Iwan Krylow. Dieser schreibt in seiner Geschichte „Die Wissbegierigen“ über einen Mann, der beim Betrachten kleinerer Exponate in einem Museum tatsächlich den präparierten Elefanten im gleichen Raum nicht bemerkte.


Übertragen auf unsere heutige Zeit und die Situation in Ihrem und in anderen Unternehmen ist es die Flut der vielen Details und dringlichen Aufgaben, um die Sie sich kümmern müssen, die Ihre Aufmerksamkeit von den großen Dingen ablenkt. Wir sehen irgendwann sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Ohne den notwendigen Freiraum für die großen Themen abseits der Details und Dringlichkeiten kommen Sie vermutlich nur schwerlich dazu, dem Elefanten im Raum Ihre Aufmerksamkeit zu widmen. „Dringend schlägt wichtig“ ist eine zentrale Erkenntnis aus der Managementpraxis. Das Tagesgeschäft und die vielen eiligen Erfordernisse sorgen ohne ein bewusstes Gegensteuern dafür, dass die großen Themen regelmäßig geschoben werden. Deren Bearbeitung verzögert sich darum immer weiter, und mehr und mehr ungelöste große Themen kumulieren sich. Die Zahl der Elefanten im Raum nimmt mit der Zeit weiter zu.


Nun liegt gerade für Führungskräfte eine essentielle Aufgabe und Fähigkeit darin, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und ihr Handeln an den wichtigen Themen auszurichten. Je höher die Position in der Hierarchie, desto größer ist auch die persönliche Verantwortung dafür, die „Elefanten im Raum“ zu thematisieren und für Lösungen zu sorgen. Das gelingt nur dann, wenn Führungskräfte ihre Rolle richtig verstehen und leben. Konzentration auf die großen und wichtigen Themen und weniger auf die Details ist ein Rollenmerkmal von Führungskräften. Genauso sind sie dafür verantwortlich, die ansonsten unausgesprochenen, weil unangenehmen oder sonst wie gemiedenen Themen und Sachverhalte  anzupacken und in die Aufmerksamkeit der Organisation zu bringen. Jeder Mensch im Unternehmen kann das tun; Führungskräfte jedoch müssen es qua Amt und Verantwortung.


Noch ein wichtiger emotionaler Aspekt, auf den Shaolin-Mönche besonders hinweisen: Ungelöste Probleme erzeugen immer wieder neu Leid und schlechte Gefühlte in uns. Lösen Sie ein unangenehmes Thema, ist das in dem Moment vielleicht mit negativen Gefühlen verbunden. Danach jedoch belastet es Sie nicht mehr, vielleicht erzeugt die Lösung sogar ein gutes Gefühl und ein Glücksmoment. Ungelöste Probleme, die Sie vor sich her schieben, machen Ihnen regelmäßig und jedes Mal wieder neu ein schlechtes Gefühl, wann immer Sie daran denken oder daran erinnert werden. Und je mehr ungelöste Probleme oder Elefanten im Raum Sie mit sich herumtragen, desto mehr an schlechten Gefühlen werden Ihnen diese Themen bereiten. Das gilt für Sie als einzelnen Menschen, das gilt aber genauso gut für Ihr Team und Ihre Organisation. Elefanten im Raum sind also regelrechte Energiefresser in Ihrem Unternehmen. Schon darum gehören Sie so rasch als möglich thematisiert und gelöst.


Es braucht also nur ein wenig von Ihrem Mut, die Elefanten im Raum bewusst zu sehen und sie zu thematisieren. Manchmal hilft der Impuls von außen. Den Elefanten im Raum ist mit Methode, mit Zeit und mit Konsequenz gut beizukommen. Schauen Sie hin und thematisieren Sie das bislang Unausgesprochene. Nehmen Sie einfach in Kauf, dass es sich für einen kurzen Moment für Sie und Ihre Kollegen unangenehm anfühlt, sich mit gerade diesem Thema zu beschäftigen. Sie werden Lösungen für das Problem finden, wenn nicht alleine, dann auch mit Hilfe von außen. Wegschauen ist keine Lösung. Nellie und Ihre Kollegen werden es Ihnen danken.


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Quelle: Pexels / www.pexels.com  Urheber: David Underland    Lizenz: Pexels-Lizenz

 

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