Soziale Erwünschtheit - ein Wirksamkeitskiller im Management
- ghochstein
- vor 5 Tagen
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Wir lügen – so ziemlich jeder von uns, so ziemlich jeden Tag. Zum Glück sind das meist eher kleine Unwahrheiten. Und oft lügen wir aus einer positiven Motivation heraus. Wir möchten die Gefühle unserer Gesprächspartner nicht verletzen. Das ist ein hehres Motiv und fördert sicher in vielen Fällen das soziale Gefüge in den Gruppen, in denen wir unterwegs wird. Schön auch für uns, dass wir uns selbst für unsere Flunkereien damit ein Stück weit die Absolution erteilen können. Schauen wir aber im Kontext von Führung und Wirtschaft hinter die Motivationen, die uns lügen lassen, dann finden wir rasch riskante Mechanismen, die den Erfolg und beizeiten den Bestand von Unternehmen gefährden können. Falsch verstandene Empathie oder das Primat der sozialen Erwünschtheit in meiner Kommunikation und meinen Entscheidungen als Führungskraft reduzieren massiv meine Wirksamkeit und in der Folge die des Unternehmens. Schauen wir uns also einfach mal einige dieser Mechanismen an und auch Möglichkeiten, sie zu überkommen.

Starten wir mit der sozialen Erwünschtheit. Der Begriff stammt aus der Sozial- und Marktforschung und beschreibt den Effekt, dass Menschen bei Befragungen umso eher eine falsche oder eine weichgespülte Antwort geben, je heikler die Frage grundsätzlich oder in den Augen des Befragten ist. Deuten wir das unter Beibehaltung des Begriffes für Führungshandeln in Unternehmen um, dann wirkt das wie ein Filter bei jeder Entscheidung und Kommunikation. Dinge, von denen ich als Führungskraft annehme, dass sie meinen Leuten nicht gefallen, entscheide ich dann entweder gar nicht, verschiebe die Entscheidung oder schwäche sie ab. Für die Kommunikation dazu gilt das sinngemäß.
Soziale Erwünschtheit führt im Führungshandeln und in der Kommunikation in Unternehmen also dazu, dass kritische Themen ungelöst bleiben und nicht angesprochen werden. Managementaufgaben wie Transformation und zu guten Teilen auch Innovation können darum der sozialen Erwünschtheit zum Opfer fallen. Treiben Sie Veränderungen voran, erzeugen Sie damit fast zwangsläufig Unbequemlichkeiten oder Emotionen wie zum Beispiel Angst. Wollen Sie stattdessen als Führungskraft Ruhe im Team und wohlwollende Anerkennung durch Ihre Leute, bedienen Sie einfach die soziale Erwünschtheit Ihres Teams und machen Sie einen großen Bogen um kritische Themen und Veränderung. Der Preis, den Sie dafür zahlen, ist allerdings Stillstand und beizeiten eine schleichende Verschlechterung Ihrer Wettbewerbsposition.
Eine ähnliche Wirkung erzeugt falsch verstandene und falsch gelebte Empathie. Empathie ist gut und umfasst ja Ihre Fähigkeit und Ihren Willen, andere Menschen zu verstehen und auf deren Sichtweisen mit Verständnis und Unterstützung einzugehen. Empathie in der Führung bedeutet jedoch nicht, jede Anstrengung oder Unbequemlichkeit von Ihrem Team fernzuhalten. Aber genau das passiert allzu häufig. „Beleidige Deine Mitarbeiter nicht durch Unterforderung“ mag man allen Führungskräften landauf, landab laut zurufen, die in diese Empathie-Falle getappt sind. Empathie im Sinne guter Führung bedeutet, klar in der Sache, wertschätzend und ehrlich in der Ansprache und nach dem Prinzip des Supportive Leaderships unterstützend bei Bedarf mit seinen Leuten zu agieren.
In nahezu jeder Gruppe finden Sie irgendeine Form von sozialer Erwünschtheit. Das ist üblicherweise eine unausgesprochene, meist erfahrungsbasierte Norm, ein ungeschriebenes und unausgesprochenes Gesetz dieser Gruppe. Sie ist von Gruppe zu Gruppe, also auch von Unternehmen zu Unternehmen, durchaus unterschiedlich. Beispiel Leistungskultur: Sie finden Unternehmen, in denen Minder- oder Nichtleistung geduldet und durch die Führungskräfte oder Kollegen auch nicht thematisiert wird. Dem gegenüber finden Sie andere Unternehmen, in denen die Mitarbeiter eine Leistungskultur aktiv leben, darüber reden und sich gegenseitig dazu anspornen. Im ersten Fall „stören“ Sie als Führungskraft die soziale Erwünschtheit, wenn Sie Minderleistung ansprechen. Im zweiten Fall ist es genau umgekehrt – Sie verletzen die soziale Erwünschtheit, wenn Sie dies eben nicht tun.
In krasser Ausprägung machen falsch verstandene Empathie und soziale Erwünschtheit sogar krank. Sie kennen das Flow-Prinzip, welches der ungarisch-amerikanische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi seit den 1970er Jahren erforschte und ausführlich in seinem Buch „Flow: The Psychology of Optimal Experience“ 1990 beschrieb. Dabei schauen wir meist zuerst auf den „Flow-Zustand“. Wir gehen ganz in einer Tätigkeit auf, vergessen die Zeit und alles um uns herum und empfinden dabei eine tiefe Zufriedenheit und Glück. Das können Sie besonders gut an Kindern beobachten, die spielen. Ein zentraler Aspekt des Flow-Zustandes bei der Arbeit ist, dass die Anforderungen mit unseren Fähigkeiten übereinstimmen, zumindest unsere Fähigkeiten nicht weit übersteigen. In diesem Zustand sind wir, wenig überraschend, auch am produktivsten. Übersteigen die Anforderungen meine Fähigkeiten weit, bin ich überfordert, was schlimmstenfalls in einen Burnout führt. Die andere Seite der Medaille ist Unterforderung, wenn meine Fähigkeiten und / oder meine Leistungsbereitschaft die Anforderungen weit übertreffen und nicht abgerufen werden. Auch das macht langfristig krank, hier droht der Boreout.

Ohne Beurteilungsvermögen und Empathie führen Sie als Führungskraft mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens einzelne Menschen aus Ihrem Team irgendwann in die Überforderung. Halten Sie hingegen, ferngesteuert durch die soziale Erwünschtheit oder eigenverschuldet durch falsch verstandene Empathie, alle Anstrengungen und Herausforderungen von Ihrem Team fern, entsteht bald Lethargie. In beiden Fällen leidet die Leistung und Wirksamkeit Ihrer Teams und Ihres Unternehmens, und in beiden Fällen leiden auch die Menschen. Die Folgen der Überforderung von Menschen am Arbeitsplatz sind, auch medial, allgegenwärtig präsent und gefühlt der Normalfall. Die Unterforderung mit all ihren negativen Folgen wird hingegen öffentlich kaum thematisiert. Boreout und Burnout scheinen jedoch fast gleich häufig vorzukommen (siehe hierzu: Studie „Arbeiten 2023“ der Pronova BKK, Seite 29).
Schützen Sie also sich selbst, Ihre Leute und Ihr Unternehmen unbedingt vor solchen negativen Auswirkungen. Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter mit Respekt und Ehrlichkeit, das haben sie verdient, denn es sind zumeist mündige und leistungsbereite Menschen. Reden Sie Klartext und hören Sie im Gegenzug Ihren Leuten zu, so legen Sie den Grundstein für richtig und gut gelebte Empathie. Geben Sie der sozialen Erwünschtheit als Führungskraft nicht nach, sofern sie Ihre Teams ganz oder teilweise in die Unterforderung führt. Soziale Erwünschtheit und falsch verstandene Empathie macht Sie zu einer Marionette äußerer Faktoren, das ist das Gegenteil von guter Führung. Achten Sie natürlich darauf, Ihre Leute nicht zu stark zu überfordern, sondern in ihrem individuellen Flow-Kanal zu halten, dort weiter herauszufordern und sie damit weiter wachsen zu lassen in ihren Fähigkeiten. Am Ende werden Sie dann nicht nur mit besseren Ergebnissen und mehr Wirksamkeit belohnt, sondern auch selbst zufriedener Ihrer Führungsaufgabe nachgehen – in Ihrem persönlichen Flow-Kanal und fernab einer kontraproduktiven sozialen Erwünschtheit.
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Grafik "Flow": privat