Viele einstmals neue Begriffe begegnen uns tagtäglich und mit der Zeit inflationär. Sind sie anfangs noch spannend und wecken unsere Neugier, verlieren sie über die Zeit an Aufmerksamkeit und auch an Sinn. Irgendwann verkommen solche Begriffe dann zu Modewörtern, inflationär verwendet, gar wie die sprichwörtliche „Sau durchs Dorf“ getrieben. Dann droht ihnen die Gefahr, nur noch als ein Geräusch unter vielen im täglichen Wust an Informationen unterzugehen. Reden wir also einmal über Transformation. Wo steht sie aktuell auf der Skala zwischen starker Botschaft und sinnleerem Geräusch? Und was ist Transformation eigentlich?
Wikipedia bietet per dato rund 29 Mio. Suchergebnisse an, ein Platz im Mittelfeld der Bedeutsamkeit. Große Themenbereiche wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Forschung nutzen den Begriff Transformation intensiv, jeder jedoch mit eigenen Deutungen und Beschreibungen. Inhaltlich unterscheiden sich diese Deutungen erheblich, was zu erwarten ist. Trotzdem sind Gemeinsamkeiten erkennbar.
So wie es der ursprüngliche lateinische Begriff transformare, übersetzt umformen oder verwandeln schon erwarten lässt, meint Transformation eine größere oder schwerwiegendere Form von Veränderung. Darin ist sich die überwiegende Mehrzahl der Beschreibungen von Transformation in den unterschiedlichen Sachgebieten einig. Es verbleibt jedoch eine große Bandbreite zwischen „ein bisschen mehr Veränderung“ bis hin zu „kein Stein bleibt auf dem anderen“.
Nun maßt sich dieser Artikel natürlich nicht an, eine allgemeingültige neue Definition von Transformation zu schaffen. Aber eine bestimmte Perspektive auf Transformation hilft dem Begriff und vielleicht auch Ihnen, damit Sie ihn sinnvoll für Ihre Zwecke verwenden können. Also hier eine / meine Deutung des Begriffes Transformation.
Zuerst die Frage, ob Transformation ein Superlativ ist, ein Endpunkt, ein absolutes Maximum. Ich meine nicht. Transformation bedient schon ein breiteres Spektrum, beginnend deutlich oberhalb von „normalen“ Veränderungen bis hin zur Disruption. Hilfreich sind eher andere Merkmale, um der Transformation ein Gesicht zu verleihen und den Begriff für Steuerung und Einordnung sinnvoll nutzbar zu machen. Wenn ich Transformation erkläre, liegt eine wesentliche Frage darin, ob die beschriebene Veränderung wirkliche Brüche zum Status Quo beinhaltet. Alles, was eine normale lineare Entwicklung an Veränderung erzeugen kann, erfüllt meiner Meinung nach noch nicht die Kriterien für Transformation.
Ein Beispiel für eine Technologie-Transformation in der Wirtschaft war in der Lichttechnik der Übergang von der Glühbirne und ihren späteren Verwandten hin zur LED-Technologie. Im Handel erfüllte die Verdrängung der Warenhäuser und deren Kataloge durch die digitalen Handelsplattformen alle Merkmale einer Transformation. Letztere wirkte gleich auf mehreren Ebenen. Die Anbieter schufen eine völlig neue digitale Infrastruktur und Logistik, die Kunden veränderten parallel massiv ihre Gewohnheiten und kurz darauf stiegen auch ihre Erwartungen, zum Beispiel an die Liefergeschwindigkeit und Verfügbarkeit der Produkte, die sie kauften. Jedenfalls waren diese Transformation mit mindestens einem wirklichen Bruch statt einer linearen Entwicklung verbunden.
Transformation wirkt zudem stark auf die betroffenen und beteiligten Menschen und deren mentales Befinden. Somit ist zumindest der Grad des „Unwohlseins“, den die Beteiligten spüren und zeigen, ein starker Indikator für den Grad der Veränderung und damit auch den Grad der Transformation. Für Sie als Führungskräfte stellt der Umgang mit den Ängsten und mentalen Hürden der betroffenen Menschen die größere Herausforderung dar. Das ist weniger randscharf als die eher technischen Merkmale von Transformation, birgt aber normalerweise mehr und größere Risiken für das Gelingen von Transformation verglichen mit den technischen Herausforderungen.
Spüren und erleben Sie massiven, emotionalen Widerstand ohne eine nachvollziehbare objektive Begründung seitens der Opponenten, sehen Sie gar Lethargie und Selbsthemmung bei den Betroffenen, ist die mentale Schwelle zur Transformation ziemlich sicher überschritten. Für Sie als Führungskräfte bedeutet das dann höchste Aufmerksamkeit verbunden mit umfangreicher und wiederholter Führungsarbeit. Dabei besteht die Kunst und Ihre Aufgabe darin, substantielle Widerstände von Befindlichkeiten oder notorischen Nörgeleien zu unterscheiden und Ihre Aufmerksamkeit eben nur den echten und realen Transformations-Schmerzen zu widmen. Eine wirkliche Transformation bedeutet für die betroffenen Menschen einen inneren „Bruch“ mit ihren Gewohnheiten, Überzeugungen, Erwartungen und anderen höchstpersönlichen Empfindungen. Sicher liegt dabei die Schwelle, ab der eine Veränderung für den Einzelnen einen Bruch bedeutet, unterschiedlich hoch. Trotzdem werden Sie sich auch um einzelne Menschen, so sie eine wesentliche Rolle in einem Transformationsprozess spielen, kümmern müssen, sobald deren mentale Transformations-Schwelle überschritten ist.
Wozu nun diese vermeintliche Wortklauberei? Zweifelsohne stehen uns allen in unseren Unternehmen zahlreiche wirkliche Transformationen bevor. Große Aufgaben und Herausforderungen sollten als solche erkannt, akzeptiert, benannt und gehandhabt werden. Jedes Lavieren und Beschönigen kann dazu führen, das Ihr Team das Transformationsthema unterschätzt. Dann laufen Sie Gefahr, Ihren Transformationsthemen zu wenig Aufmerksamkeit und „Wucht“ zu widmen. Sprache ist Ihr wichtigstes Transportmittel für Ihre Botschaften und für das Setzen Ihrer Prioritäten. Nutzen Sie den Begriff Transformation nur dann, wenn es um etwas Großes geht, das mit Brüchen und Anstrengungen verbunden ist. So kann es Ihnen gelingen, den großen Veränderungen, denen Sie sich mit Ihrem Team stellen werden, die notwendige Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit zu geben. Brüche erzeugen Schmerzen; solche Schmerzen sind jedoch ein starker Impuls, schwierige Veränderungen anzugehen. Sie können Motivation für große Veränderungen erzeugen und die notwendigen Kräfte in Ihrem Team freisetzen. Sorgen Sie darum aufmerksam dafür, dass „Transformation“ in der richtigen Wahrnehmung in Ihrem Team bleibt. Sie ist, richtig verstanden und betrieben, eben doch weit mehr als nur ein Geräusch.
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